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„Erde hat Mensch“

Bei Titel und Thema Ihres Buches fiel mir sofort die Maschine Agent Smith aus dem Film Matrix ein. Der behauptet, dass der Mensch eine Krankheit und das Geschwür dieses Planeten sei. Stimmen Sie ihm zu?

Klaus Kamphausen und ich wollten das Buch auch erst „Erde hat Mensch“ nennen (lacht). Wir Menschen sind aber keine Krankheit, sondern ein ganz normales Produkt der Evolution und einer biologischen Entwicklung. Daraus haben wir eine kulturelle gemacht und sie um die landwirtschaftliche Entwicklung, Industrialisierung, Digitalisierung und Globalisierung ergänzt.

Wir verfügen eben über Methoden, unsere Umwelt zu verwandeln, wie kein anderes Lebewesen. Allerdings bis zu dem Punkt, dass wir die Grundlage für ein gedeihliches Leben für alle für immer zerstören.

Alles, was in der Natur nicht wächst, stirbt irgendwann. Ist dieser Urtrieb nach Wachstum nicht zutiefst menschlich – und damit Teil des Problems?

Es ist die Frage, wie man wächst. Ich habe gerade angefangen, Klavier zu spielen. So wie das Lernen einer weiteren Sprache hat das etwas mit dem inneren Wachstum zu tun. Und nicht damit, dass ich immer noch mehr irdische Güter anhäufe. Das Standardmodell des erfolgreichen Menschen ist, dass er immer reicher wird. Wie bei diesen 80-jährigen Milliardären auf der Reichenliste, bei denen mir schleierhaft ist, wie sie ihr Geld noch ausgeben wollen.

Man muss in der Gesellschaft anfangen, das Ideal zu schaffen, nicht ökonomisch zu wachsen, sondern als Mensch. Wir müssen uns zum Beispiel in die Lage versetzen, mit anderen Menschen friedlich zu leben und sie nicht als Bedrohung zu empfinden. Gerade in Europa müssen aktuell viele lernen, dass sie nämlich eigentlich die eigene Angst umtreibt. Die zu verlieren, wäre doch tatsächlich mal ein echtes Wachstumsziel für große Gesellschaften.

Wenn wir so weitermachen, brauchen wir vier Mal die Erde.

Und natürlich müssen wir uns darüber im Klaren werden, dass der luxuriöse Lebensstil, den wir in den letzten hundert Jahren geführt und in den letzten 30 Jahren beschleunigt haben, auf keinen Fall so weitergehen kann.

Noch in den 60er-Jahren war es ein großes Ereignis, dass jemand mit dem Flugzeug auf den anderen Kontinent Amerika flog. Heute sind solche Vorgänge, die früher nur einer Elite vorbehalten waren, zu einem Massenphänomen geworden. Das hat unter anderem mit dazu geführt, dass der Planet bis auf die Knochen ausgenommen wird.

Schauen Sie sich China an. Ein Land mit so großen Philosophen wie Laotse oder Konfuzius, das jedoch unseren westlichen Lebensstil übernimmt. Schanghai ist doch von New York mit seinen Hochhäusern und Verkehrsstaus überhaupt nicht mehr zu unterscheiden. Aber wenn wir so weitermachen, brauchen wir vier Mal die Erde. Und wenn wir es nicht gemeinsam schaffen, schaffen wir es gar nicht.

Das sind ziemlich trübe Aussichten. Haben Sie auch Anstöße, die Hoffnung machen?

Das Ziel ist erst mal, Dinge klar und deutlich zu benennen und Menschen für die Probleme zu sensibilisieren. Eine Lösung können Regularien sein, die die Gesellschaft formuliert. Sie müssen jeden in die Phase der Aufmerksamkeit bringen, dass er sich richtig und vernünftig entscheidet – oder eben nicht. Zurzeit setzt unser Wirtschaftssystem Reize nach dem Motto: Me, myself and I. Jeder ist nur auf sich gepolt.

Wir müssen den anderen europäischen Ländern zeigen, dass sie funktioniert.

Nehmen wir an, auf den Flugtickets überall auf der Welt existiere automatisch eine Kohlendioxidabgabe. Man müsste dafür aber ein Ja oder Nein ankreuzen. Beim Nein stünde dann ergänzend der Text: „Ich interessiere mich nicht für den Klimawandel. Und wie es meinen Kindern und Enkeln in Zukunft gehen wird, ist mir auch egal. Deshalb will ich diesen Beitrag nicht bezahlen.“

Hoffnung macht die Bundesrepublik, die sich auf die Energiewende eingelassen hat, die noch viel zu langsam verläuft. Wir müssen den anderen europäischen Ländern zeigen, dass sie funktioniert. Und wenn die Europäer es dann können, ist das ein Erfolgsmodell für den Rest der Welt. Den Wohlstand halten wir dann durch den Export der entsprechenden Technologie. Man sieht ja an den Chinesen, dass sie hier wie wild einkaufen. Die haben sich längst darauf eingestellt.

In Amerika wird es auch wieder eine Zeit nach Trump geben. Dann werden die Amerikaner auch in der Klimapolitik wieder mit dabei sein. Ich hoffe sowieso, dass sich die Ökonomie in den USA nicht von ihrem Präsidenten beeinflussen lässt, der meint, der Klimawandel sei eine Erfindung. Denn man kann mit erneuerbaren Energien Geld verdienen und damit wieder positive Dinge umsetzen.

Als Professor erleben Sie täglich die künftige wissenschaftliche Elite. Macht die wenigstens Hoffnung?

Haben Sie gerade Elite gesagt (lacht)? Was ich erlebe, sind ziemlich stromlinienförmige, natürlich ans System angepasste Teilnehmer des universitären Betriebs. Deren Ressource Zeit ist eingeschränkt. Früher konnte man beim Studieren noch schlendern, heute muss man marschieren.

Wir müssen nach Lösungen vor der eigenen Tür suchen.

Und wehe, Sie kommen aus dem Takt. Die Selbstoptimierung ist heutzutage zu einer Art Ideologie geworden. Wir brauchen aber Pausen und auch örtliche Rückzugsräume.

Wir haben es geschafft, den jungen Leuten auszutreiben, was wir eigentlich von ihnen erwarten – nämlich Fantasie und Originalität. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn sie nichts wirklich Neues in die Welt bringen können. Ich hoffe sehr, dass sie irgendwann doch dagegen rebellieren.

Wenn alle Stricke reißen, wandert die Menschheit bekanntlich auf den Mars aus.

Da sehe ich ganz schwarz. Wir sind ja technisch noch nicht mal in der Lage, wieder die gute alte Mondrakete Saturn 5 hinzustellen. Auch die Chinesen scheitern regelmäßig. Zum Mond dauert es dreieinhalb Tage, zum Mars nur in eine Richtung immerhin sechs Monate. Und was wollen wir dort? Seine Atmosphäre ist so dünn wie bei uns auf der Erde in 48 Kilometer Höhe. Es sollte uns zu denken geben, dass sich die Reise ins All schwieriger darstellt als gedacht. Dass uns das in den kommenden 30 Jahren gelingt, halte ich für das Geschwätz von Leuten, die ich als Eskapisten bezeichnen würde.

Wir müssen nach Lösungen vor der eigenen Tür suchen. Es gibt diesen Satz des Philosophen Martin Heidegger, in dem er sinngemäß sagt, dass wir Gäste des Lebens sind. Und als Gast sollte man den Platz, den man bewohnt hat, sauberer verlassen, als man ihn vorgefunden hat. Das ist das Allerwichtigste.

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