Wissenschaftsjournalist und GEO-Experte Dirk Steffens und Dr. Sabine Steffens, Biologin und Leiterin der GEO-Film-Redaktion, beschäftigen sich seit Jahren mit den Themen Artenvielfalt und Klimaschutz. Im Interview erklären sie, warum jede unserer alltäglichen Entscheidung zählt, welche Chancen in den Krisen stecken und weshalb sie trotz allem optimistisch bleiben.
„Wie wollen wir leben?“ – Was bedeutet diese Frage für euch beide persönlich, wenn ihr an eure eigene Zukunft oder die der kommenden Generationen denkt?
Dirk: Unsere Berufe prägen, wie wir denken. Deshalb ist unsere Vorstellung davon, wie wir künftig leben müssen, wissenschaftlich: Sie heißt „innerhalb der planetaren Grenzen“. Dieses Modell definiert neun Erdsysteme, die auf unserem Planeten funktionieren müssen, sonst könnten wir Menschen aussterben. Wir brauchen etwa saubere Luft, Wasser, Nahrung, die Ozonschicht und ein stabiles Klima. Alle neun Bereiche können wir benennen und diese müssen dauerhaft im grünen Bereich sein, damit die Zukunft unserer Kinder lebenswert bleibt. Bleiben wir dauerhaft im roten Bereich, bricht die Welt, wie wir sie kennen, zusammen. Die gute Nachricht: Wir haben mehr Lösungen als Probleme. Wir wissen genau, was in jedem Bereich zu tun ist, um zurück ins Grüne zu kommen. Das bedeutet: Ja, wir könnten aussterben, wenn wir es falsch anstellen, aber wir haben auch das Wissen und die Möglichkeiten, das zu verhindern.
Sabine: Wenn ich unsere zwölfjährigen Jungs anschaue, weiß ich: Sie haben noch ein langes Leben vor sich, und es ist entscheidend, in welcher Welt sie leben werden. Gerade wieder war der „Earth Overshoot Day“ in den Medien – dieses Jahr am 24. Juli. Das bedeutet, wir haben schon alle Ressourcen für das Jahr verbraucht und leben ab jetzt über unsere Verhältnisse. Auf Dauer kann das nicht gut gehen. Deshalb wollen wir Lösungen anbieten.
In eurem Podcast „Kettenreaktion“ zeigt ihr, wie alltägliche Entscheidungen globale, ökologische und soziale Folgen haben. Warum ist es entscheidend, diese Zusammenhänge zu verstehen, wenn wir über die Zukunft unseres Planeten sprechen?
Dirk: Viele von uns kennen in diesen Krisenzeiten das Gefühl, ausgeliefert und machtlos zu sein gegenüber dem Klimawandel, Artensterben oder sozialen Ungleichheiten. Es wirkt nutzlos, eine Energiesparlampe einzuschrauben, während gleichzeitig in China Kohlekraftwerke gebaut werden. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit führt zu Frust und manchmal dazu, Populisten zuzuhören oder extremen Ideen zu folgen. Doch das muss nicht so sein. Denn die Wahrheit ist: Jede und jeder von uns hat Möglichkeiten etwas zu tun. Das beginnt schon mit Kleinigkeiten im Alltag. Ob beim Einkaufen, Frühstücken, Urlaub planen oder Kleidung kaufen: Jede Entscheidung hat Auswirkungen auf die Welt. Alles hängt miteinander zusammen. Die Idee von „Kettenreaktion“ zeigt: Keiner ist machtlos. Wir sind über acht Milliarden Menschen. Wenn jede und jeder etwas beiträgt, entsteht daraus die größte Kraft, die dieser Planet kennt.
Sabine: Wir haben einen großen Film darüber gemacht, wie unser Essverhalten die Welt beeinflusst. Wenn wir zum Beispiel eine Bratwurst kaufen, die als „Wurst vom Metzger nebenan“ verkauft wird, dann kann trotzdem Soja aus dem Amazonasgebiet darin stecken für das Wälder gerodet wurden. Solche Zusammenhänge sind vielen Verbrauchern gar nicht klar. Deshalb ist es so wichtig, sie zu erklären.
Es geht nicht darum, der Bratwurst allein die Schuld zu geben, aber sie spielt eben eine Rolle. Wer diese Verbindung kennt, trifft beim nächsten Mal vielleicht bewusst die Wahl für eine Bio-Bratwurst, in der kein Soja aus Brasilien verarbeitet werden darf.
Wie können wir als Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich etwas bewirken, ohne in Ohnmacht vor der Komplexität großer Krisen zu verfallen? Und wie lässt sich dieser individuelle Einfluss realistisch nutzen, ohne moralischen Zeigefinger?
Dirk: Der moralische Zeigefinger nervt alle, weil er immer zu sozialer Reaktanz führt. Niemand möchte sich von anderen vorschreiben lassen, welches Auto man fährt, was man essen soll oder ob man in Urlaub fahren darf. Das ist der falsche Ansatz. Wir sind Menschen, die Freiheit lieben und selbst entscheiden wollen. Viel besser ist es, die Chancen des Naturschutzes zu betonen: Eine gesunde Umwelt lässt uns länger, gesünder, wohlhabender und glücklicher leben.
Das ist die richtige Erzählung. Auch wirtschaftlich gilt: Wer die umweltfreundlichsten Autos, die effizientesten Kraftwerke und die nachhaltigsten Lebensmittel produziert, wird im internationalen Wettbewerb führend sein. Umweltschutz ist also keine Erzählung von Verzicht, sondern eine von Möglichkeiten, Aufstieg und Wohlstand. Dabei muss niemand alles perfekt machen – aber jeder sollte ein bisschen beitragen.

Foto: Privat
Welche Erkenntnisse aus der Recherche für euren Podcast haben euch persönlich besonders überrascht? Gab es Aha-Momente, die euren Alltag verändert haben?
Sabine: Ja, ständig. Zum Beispiel Lebensmittelverschwendung. Uns hat überrascht, wie viel Nahrung weggeschmissen wird: ein Drittel der produzierten Lebensmittel weltweit! Die meisten Lebensmittel werden von Privathaushalten weggeworfen, nicht von der Industrie. Diese Verschwendung ist schlimm wegen des Aufwands der Produktion, wegen der Flächen, Pestizide und der aufgewendeten Energie. Weniger wegwerfen, das ist ein Hebel, den jeder sofort nutzen kann. Wir selbst haben unsere Gewohnheiten komplett umgestellt, werfen weniger weg, kaufen bewusster ein und erklären unseren Kindern, wie wichtig das ist. Gelebter Umweltschutz, der sogar Geld spart.
Dirk: In Deutschland landen jedes Jahr rund elf Millionen Tonnen essbarer Lebensmittel im Müll. Das können wir sofort ändern – heute! Schon beim Frühstück zeigt sich die ganze Welt auf dem Tisch: im Nutella, der Kakao, in der Milchproduktion, im Kaffee, im Schinken, ganz egal, unser Essen kommt aus der ganzen Welt. Frühstücken ist also wie eine kleine Sitzung der Vereinten Nationen. Ich habe schon Naturprozesse auf der ganzen Welt beeinflusst, bevor ich überhaupt das Haus verlasse. Das heißt: Jeder kann ein bisschen Einfluss nehmen.
Ihr setzt euch seit Jahren für den Schutz der Biodiversität ein. Warum ist Artenvielfalt für den Erhalt unserer Erde genauso wichtig wie Klimaschutz?
Dirk: Meiner Meinung nach ist Artenvielfalt sogar noch wichtiger. Warum? Die Klimakrise stellt in Frage, wie wir leben. Aber das Artensterben stellt in Frage, ob wir leben. Die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, die Nahrung, die wir essen – all das gäbe es nicht ohne Billionen anderer Lebewesen, die es für uns bereitstellen. In einer Handvoll Erde leben mehr Organismen als Menschen auf der ganzen Welt. Diese Lebewesen machen aus Staub fruchtbare Erde. Ohne sie hätten wir nichts zu essen. Beim Wasser ist es dasselbe: Aus nicht trinkbarem Wasser wird sauberes Wasser durch Kleinstlebewesen. Ohne Artenvielfalt können wir nicht existieren.
Gleichzeitig erleben wir gerade das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Jeden Tag sterben schätzungsweise 150 Arten aus. Bis Ende des Jahrhunderts könnten es eine Million Arten sein und wenn das passiert, sterben wir wahrscheinlich auch aus.Das muss man so drastisch sagen. Aber die gute Nachricht: Wir wissen genau, was zu tun ist. Wir müssen nur ein bisschen konsequenter handeln.
Foto: Dirk Steffens am Dallol Vulkan in Äthiopien © Geo Film/RTL/oh
Sabine, als Biologin und Redaktionsleiterin arbeitest du an der Schnittstelle von Wissenschaft und Medien. Was braucht es aus deiner Sicht, damit wissenschaftliche Erkenntnisse stärker in gesellschaftliche Debatten einfließen?
Sabine: Wir brauchen auf jeden Fall starke Narrative, die aber nicht nur die Missstände anprangern. Viele Leute können die schlechten Nachrichten schon nicht mehr hören. Die gibt es, die kann man nicht weglassen. Aber was wir zusätzlich brauchen, sind schöne Geschichten über unsere Zukunft. Wir werden in einer Zukunft leben, die so sein wird, wie wir heute darüber sprechen. Ich finde wir haben mit dem Podcast oder auch Filmen ganz wunderbare Mittel, die Menschen emotional zu erreichen. Ihnen ohne vorgehaltenen Zeigefinger zu zeigen, wie wunderbar diese Welt ist.
Wie bizarr und überraschend die Zusammenhänge sind und was für wunderbare Menschen es gibt, die sich überall auf der Welt dafür einsetzen und ihr ganzes Leben dem gewidmet haben, die Erde ein bisschen besser zu machen. Das trägt mich persönlich. Wenn wir damit ein paar Menschen zum Nachdenken bringen, dann bin ich glücklich.
Was macht euch beiden Hoffnung, dass wir als Gesellschaft die Transformation hin zu einem gesunden, nachhaltigen und gerechten Leben schaffen können und was wünscht ihr euch konkret von Unternehmen und Politik?
Dirk: Wir haben kein Wissensdefizit auf der Welt, sondern ein Handlungsdefizit. Jedes große ökologische Problem auf diesem Planeten können wir in den Griff bekommen. Wichtig ist, dass wir, wie Sabine schon sagte, die richtigen Erzählungen anbieten. Bei der Politik wäre mehr Ehrlichkeit gut. Aber wir hängen auch nicht so sehr von der Politik ab, oft ist das nur eine Ausrede, nichts selbst zu machen. Jeder Mensch, jedes Unternehmen kann etwas tun.
Wir müssen eigenverantwortlich sein. Genau das ist die Idee von Unternehmertum: Ich warte nicht darauf, dass andere mein Problem lösen, sondern setze meine Idee selbst um.
Sabine: Ich finde wer Möglichkeiten hat, hat auch Verantwortung. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: „Deutschland ist ja nur so klein. Unsere Emissionen sind im Vergleich zur Welt ganz klein.“ Das ist Quatsch, Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Wir haben enormes Innovationspotenzial und wir hätten auch eine riesige Signalwirkung, wenn wir uns hinstellen würden als Land und sagen: Wir haben Lösungen!
Dirk: Es gibt Theorien, die besagen: Wenn zehn bis 20 Prozent der Menschen einen neuen Weg gehen, verändert sich die ganze Gesellschaft. Da liegen große Möglichkeiten. Die meisten Menschen in Deutschland sind gut ausgebildet, handeln vernünftig und sind erfreulich anständig. Das ist die schöne Nachricht und unsere große Chance.

Foto: Privat
HÖREN SIE REIN
„KETTENREAKTION“ – DER GEO-PODCAST VON DIRK UND SABINE STEFFENS
www.geo.de/wissen/kettenreaktion—der-geo-podcast-von-dirk-steffens
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Erscheint am: 12.11.2025
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