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SOZIALE VERANTWORTUNG

Wenn der Tod Teil des Lebens wird: Nähe, Abschied und Achtsamkeit

Fotos: Inès Britel

Politisches Engagement war für Luise Morgeneyer schon im Studium selbstverständlich. Doch das Ehrenamt hat ihr gezeigt, was es heißt, Verantwortung ganz praktisch zu leben. Heute begleitet sie Menschen im Hospiz, hält Hände, hört Geschichten und lernt täglich neu, was Menschlichkeit bedeutet.

Luise Morgeneyer

Autorin, Sinnfluencerin, Ehrenamtlerin

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Liebe Luise, wann und wie kamst du auf die Idee, dich ehrenamtlich zu engagieren?

Während meiner Studienzeit war ich bereits sehr politisch aktiv – für mich gehört gesellschaftliches Engagement einfach dazu. Ich war oft auf Demonstrationen, habe bei deren Organisation geholfen und mich allgemein für soziale und politische Themen eingesetzt. Mein erstes richtiges Ehrenamt hatte ich dann bei der Berliner Obdachlosenhilfe, kurz nachdem ich nach Berlin gezogen war.
Ich war tief betroffen davon, wie groß das Thema Obdachlosigkeit in einer Stadt wie Berlin ist. Eine Freundin nahm mich damals ein Stück weit an die Hand, und gemeinsam haben wir uns dort über eineinhalb Jahre engagiert. Diese Zeit hat für mich viele Türen geöffnet: Ich habe unglaublich viel gelernt und viele meiner eigenen Vorurteile abgelegt.

Ehrenamt bedeutet für mich vor allem, die eigene Komfortzone zu verlassen und andere Lebensrealitäten kennenzulernen – nicht nur theoretisch, sondern hautnah. Es ist etwas ganz anderes, über Pflegeengpässe zu lesen, als sie in einem Krankenhaus oder Pflegeheim wirklich zu erleben. Dieses „Rausgehen ins Leben“ ist für mich das Wesentliche. Gerade zu Beginn des Ukrainekriegs habe ich mich außerdem stark in Flüchtlingsunterkünften engagiert – oft tagelang, von früh bis spät. Weg vom Handy, weg vom Scrollen – stattdessen einfach anpacken, reden, helfen.

Ich finde, man muss nicht besonders selbstbewusst oder extrovertiert sein, um sich einzubringen. Schon kleine Gesten können Großes bewirken. Es ist schön, Selbstwirksamkeit zu spüren, gerade in Krisenzeiten. Für ein paar Stunden in der Woche steht dann jemand anderes im Mittelpunkt, nicht man selbst – das erdet ungemein. Ich merke, wie gut mir das psychisch tut. Für mich ist Ehrenamt einfach das Beste, was man tun kann – und ich kann es jedem empfehlen.

Mittlerweile begleitest du Menschen auf ihrem letzten Weg. Was hat dich dazu bewegt, dich gerade in der Sterbebegleitung und Hospizarbeit zu engagieren?

Das hatte mehrere Gründe, aber der prägendste war sicher der Tod meines Großvaters vor etwa fünf Jahren. Er hatte dank einer Organtransplantation viele zusätzliche Lebensjahre gewonnen, wurde dann aber mit Anfang 80 zunehmend schwächer. Wir haben in dieser Zeit viel über das Sterben gesprochen, und ich hatte das Gefühl, dass er keine Angst davor hatte – er war bereit zu gehen.

Während des Lockdowns setzte er sich eines Abends bei unserem wöchentlichen Familien-Videoanruf noch einmal vor die Kamera – obwohl er eigentlich wenig mit Technik anfangen konnte – und hielt eine Art Abschiedsrede. Er verabschiedete sich von jedem einzelnen von uns und sprach über seine persönliche Sicht auf den Tod. Wenige Tage später ist er friedlich zu Hause gestorben – genau so, wie er es sich gewünscht hatte.

Das hat mich tief beeindruckt. Es hat mir gezeigt, dass man den Tod bewusst und selbstbestimmt gestalten kann.

Während der Corona-Zeit wurde mir außerdem das Thema Einsamkeit sehr bewusst. Ich fragte mich: Wie ist es wohl, die letzten Wochen oder Monate des Lebens allein zu verbringen? Und dann hörte ich zufällig in einem Podcast von einer Sterbebegleiterin – das war das erste Mal, dass ich von diesem Ehrenamt überhaupt erfuhr. Die Frau sprach mit so viel Wärme und Liebe über ihre Arbeit, dass ich sofort neugierig wurde.

Kurz darauf besuchte ich in Berlin einen sogenannten „Letzte-Hilfe-Kurs“ in einem Bestattungsinstitut. Das war eine sehr gute erste Erfahrung, die mir die Scheu vor dem Thema nahm. Anschließend begann ich, mich über Hospizdienste zu informieren. Viele sind christlich geprägt, was nicht ganz meinen Vorstellungen entsprach. Schließlich fand ich einen Hospizdienst, bei dem ich mich sofort willkommen fühlte – warm, offen, menschlich. Dort absolvierte ich die Ausbildung zur Sterbebegleiterin. Das war keine geplante Entscheidung, eher ein innerer Impuls – es hat mich einfach gerufen.

Braucht man bestimmte Voraussetzungen oder Qualifikationen für diese Arbeit?

Für die Hospizarbeit muss man tatsächlich eine Ausbildung absolvieren – das ist inzwischen auch staatlich geregelt. Sie umfasst etwa 100 Stunden und findet meist in Blöcken statt, teils am Wochenende, teils unter der Woche. Man lernt dort vieles: die Geschichte und Grundprinzipien der Hospizarbeit, Kommunikation mit Sterbenden und Angehörigen, den Umgang mit Abschied und Verlust – und man setzt sich auch intensiv mit der eigenen Haltung zum Tod auseinander.

Ein guter Einstieg ist der „Letzte-Hilfe-Kurs“, der etwa acht Stunden dauert. Er ist keine Voraussetzung, aber ein wunderbarer erster Schritt, um sich behutsam mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen.

In deiner Arbeit begegnest du Leben und Tod ganz unmittelbar. Wie hat sich dadurch dein Blick auf das Leben verändert – beeinflusst das auch deinen Alltag?

Ja, definitiv. Zum einen, weil sich diese Arbeit nicht so streng planen lässt. In der Obdachlosenhilfe hatte ich feste Abende, aber in der Hospizarbeit hängt vieles vom Bedarf ab – vom Gesundheitszustand der Menschen, die ich begleite. Es gibt Phasen, in denen ich auf Abruf bereitstehe, vor allem in den letzten Tagen oder Stunden eines Lebens. Das erfordert Flexibilität, aber auch Gelassenheit.

Darüber hinaus hat sich mein Verhältnis zum Tod verändert – und damit auch zu meinem Leben. Der Tod ist in meinem Alltag präsenter geworden, und das führt paradoxerweise dazu, dass ich das Leben viel intensiver empfinde. Ich nehme kleine Momente bewusster wahr, bin dankbarer und offener für das Hier und Jetzt.

Ich habe außerdem sehr viel über das Sterben gelernt – theoretisch in der Ausbildung, aber vor allem in der Praxis. Diese Erfahrungen haben mir eine große Sicherheit im Umgang mit dem Thema gegeben. In meinem Freundes- und Familienkreis bin ich inzwischen oft die Ansprechpartnerin, wenn es um Krankheit oder Abschied geht. Früher hätte ich mich das nicht zugetraut, heute kann ich ruhig und präsent da sein.

Viele Menschen möchten sich engagieren, wissen aber nicht, wo sie anfangen sollen. Was rätst du jemandem, der sich ehrenamtlich engagieren möchte – vielleicht auch in der Sterbebegleitung?

Mein wichtigster Rat: einfach anfangen!

Es muss nicht gleich das große, dauerhafte Engagement sein. Man kann auch im Kleinen beginnen – zum Beispiel mit Freundinnen oder Familienmitgliedern zusammen, das nimmt die erste Hürde.

Natürlich sollte man realistisch bleiben. Manche Ehrenämter, wie die Sterbebegleitung, erfordern Zeit und Vorbereitung. Aber es gibt viele Möglichkeiten, sich zu engagieren – auch solche, die weniger aufwendig sind: Blutspenden etwa dauert kaum eine halbe Stunde und kann Leben retten. Oder man beteiligt sich in irgendeiner Form an der Tafel oder organisiert einen Clean-Up und sammelt Müll im Park – das sind kleine, aber wirksame Beiträge. Wer sich für die Hospizarbeit interessiert, dem würde ich empfehlen, sich zu bewerben oder zunächst einen Letzte-Hilfe-Kurs zu machen. Und sich ein bisschen einzulesen, um herauszufinden, ob es wirklich das Richtige ist.

Deutschland hat eine starke Ehrenamtskultur, aber gerade die jüngeren Generationen könnten da noch aktiver werden. Es lohnt sich – für andere und für einen selbst.

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