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SOZIALE VERANTWORTUNG

„Das Glück liegt in der Kombination“

Foto: Sea-Eye

Moderator, Autor, Notfallsanitäter, Ehrenamtler – Tobias Schlegl vereint scheinbar Gegensätzliches. Im Interview spricht er über den Tod, die Kraft des Teamgeistes und das Ehrenamt als sein persönliches Lebenselixier.

Tobias Schlegl

Moderator, Autor, Notfallsanitäter, Ehrenamtler

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Tobias, du hast dich entschieden, vom Fernsehstudio in den Rettungswagen zu wechseln. Was hat dich damals dazu bewegt, den Weg als Notfallsanitäter einzuschlagen?

Es war eine immer lauter werdende Stimme in mir. Mit 17 habe ich beim Musiksender VIVA angefangen und dann fast zwanzig Jahre viele Formate (u.a. extra3 und aspekte) moderiert– eine aufregende Zeit, aber irgendwann hat es mir nicht mehr gereicht, nur Fragen zu stellen. Ich wollte etwas tun, das wirklich Bedeutung hat. Etwas, das Relevanz hat – und was kann relevanter sein, als Teil einer Lebensrettung zu sein?

Deshalb habe ich mich für die Ausbildung zum Notfallsanitäter entschieden. Drei Jahre Vollzeit – anspruchsvoll, aber überschaubar. Man trägt Verantwortung, erlebt Herausforderungen und lernt täglich dazu. Nach dem Staatsexamen hat man im Rettungsdienst die höchste nichtärztliche Qualifikation erreicht. Für mich war klar:

Ich will Verantwortung übernehmen, etwas verändern und meinem Leben mehr Sinn geben.

Du erlebst im Rettungsdienst hautnah, was es bedeutet, Verantwortung für andere zu übernehmen. Wie hat dich diese Arbeit als Mensch verändert?

Diese Arbeit verändert dich schnell und tief. Ich wurde früh mit dem Thema Tod konfrontiert – etwas, auf das man sich nicht vorbereiten kann. Du lernst, dass du nicht jeden retten kannst. Das tut weh, aber du gehst mit dem Gefühl nach Hause, etwas bewirkt zu haben. Erfüllt – und erschöpft.

Neben dem Rettungsdienst arbeite ich im Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes. Dort helfe ich nicht nur medizinisch, sondern auch psychisch – begleite Menschen, die Schreckliches erlebt haben, etwa nach Unfällen oder bei Todesnachrichten. Oft bleibe ich stundenlang, höre zu, halte einfach aus. Diese Dankbarkeit, die man dann spürt, ist der schönste Lohn.

Seit einigen Jahren bist du ebenfalls in der Seenotrettung aktiv. Wie kann man sich diese Arbeit vorstellen und welche besonderen Herausforderungen bringt sie mit sich?

Die Seenotrettung war für mich eine Weiterentwicklung. Dort wurde ich noch stärker gefordert, und meine Ausbildung bekam einen noch tieferen Sinn. An Bord eines Rettungsschiffs konnte ich wirklich anpacken.

Aber Seenotrettung ist eine andere Dimension: Du triffst auf Boote, die halb unter Wasser stehen, auf Menschen im Meer – manche bewusstlos, andere im schlimmsten Fall schon tot. Du musst handeln, ohne zu zögern. Diese Bilder vergisst man nie: Kinder, Schwangere, Familien, die einfach überleben wollen. Oft wussten wir, dass sie ohne uns nicht mehr leben würden.

Dass es keine staatliche Seenotrettung gibt, sondern nur zivile, ehrenamtliche Organisationen, ist unbegreiflich. Menschen ertrinken täglich im Mittelmeer, und Europa schaut weg. Als Notfallsanitäter frage ich nicht nach Herkunft – ich helfe, Punkt.

Und das sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Der Rettungsdienst steht oft unter enormem Druck personell, emotional und strukturell. Was müsste sich deiner Meinung nach verändern und wie stellst du dir die Zukunft dieser Branche vor?

Wir brauchen dringend strukturelle Veränderungen und politische Aufmerksamkeit. Wenn man sich anschaut, wie kurz die durchschnittliche Verweildauer im Rettungsdienst ist, ist das erschreckend. Viele brechen die Ausbildung ab, andere steigen nach wenigen Jahren wieder aus. Es ist noch schlimmer als in der Pflege.

Das liegt an der hohen Belastung, am Personalmangel, an den Schichtdiensten. Viele springen ständig ein, weil Personal fehlt, und haben kaum Freizeit. Das hält man auf Dauer nicht durch. Wenn wir wollen, dass Menschen diesen Beruf langfristig ausüben, müssen sie auch ein Leben nebenbei führen können. Dafür braucht es mehr Personal, bessere Dienstpläne, psychologische Unterstützung und eine faire Bezahlung.

Du arbeitest in Teams, die unter extremem Druck funktionieren müssen. Was können wir alle vom Zusammenhalt in solchen Situationen lernen?

Das Schönste ist: Man ist nie allein. Im Rettungsdienst, in der Seenotrettung, im Kriseninterventionsteam – überall arbeitet man im Team. Und dieses Vertrauen, das dabei entsteht, ist etwas ganz Besonderes. Du weißt: Wenn du fällst, fängt dich jemand auf. Wenn du einen schlechten Tag hast, übernimmt der andere. Im Mediengeschäft war das anders. Da war ich oft Einzelkämpfer, allein in der Manege. Jetzt weiß ich, wie erfüllend es ist, Teil eines Teams zu sein.

Man lernt, offen zu bleiben – gerade, weil durch Personalmangel und Krankheitsausfälle ständig neue Kolleginnen und Kollegen dazukommen. Du musst mit jedem können, dich auf verschiedene Menschen einlassen. Das schult Empathie und Kommunikation enorm. Und ganz wichtig: Nach belastenden Einsätzen reden wir miteinander. Wir sollten nichts in uns hineinfressen, sonst würden wir irgendwann zerbrechen. Dieses gemeinsame Verarbeiten – das kann man jedem nur empfehlen, egal in welchem Beruf.

Im Rettungsdienst erlebt man Momente, die einen nicht loslassen. Wie gehst du mit dieser Belastung um?

Reden, schlafen, verarbeiten – das sind meine drei Strategien. Ich spreche über Erlebtes, halte nichts zurück, und konzentriere mich bewusst auf die positiven Momente. Wenn eine Reanimation gelingt, wenn jemand überlebt, weil wir rechtzeitig da waren – das ist unbeschreiblich.
Ich erinnere mich an einen Einsatz, bei dem ein Mann überlebte und uns später kennenlernen wollte. Als er mir die Hand drückte, war das einer der bewegendsten Momente meines Lebens. Dafür mache ich diesen Job.

Um klarzukommen, brauche ich Ausgleich. Ich kombiniere meine „Blaulichtseite“ – also Rettungsdienst, Krisenintervention, Seenotrettung – mit dem Schreiben. Das hilft mir, Erlebnisse zu verarbeiten. Für mich liegt das Glück in dieser Kombination. Und manchmal hilft es auch, sich komplett aus allem rauszunehmen – eine Pause zu machen, um wieder Kraft zu tanken.

Letztes Jahr hast du dir so eine Auszeit genommen und bist du mit deiner Mutter den Jakobsweg gegangen – war diese Reise auch eine Möglichkeit für dich, deine bisherigen Lebens- und Berufsentscheidungen rückblickend zu betrachten und bewerten?

Definitiv. Ich hatte irgendwann das Gefühl, meine Eltern gar nicht richtig zu kennen. Also habe ich die Entscheidung getroffen, mit meiner Mutter auf den Jakobsweg zu gehen. Es war eine wunderbare Erfahrung – nicht nur, um ihr näher zu kommen, sondern auch, um mir selbst wieder nah zu sein.

Diese Auszeit hat unglaublich gutgetan. In der Natur, mit leichtem Gepäck, kommst du zur Ruhe. Du lädst deinen Akku wieder auf. Das ist wichtig, denn in meinen Jobs musst du viel Kraft haben, um anderen zu helfen. Und irgendwann ist der Akku einfach leer. Der Jakobsweg hat mir geholfen, neue Energie zu tanken. Als ich zurückkam, war ich voller Lebensfreude und Motivation, wieder für andere da zu sein.

Ich habe gelernt: Wer helfen will, muss auch auf sich selbst hören.

Wie wichtig ist das Ehrenamt für den Rettungsdienst für Menschen, die sich auch engagieren möchten?

Im klassischen Rettungsdienst sind es vor allem Vollzeitkräfte, die ausrücken, wenn jemand die 112 wählt. Aber bei Großveranstaltungen – bei Marathons, Fußballspielen oder Konzerten – sind es oft Ehrenamtliche, die als Sanitäterinnen und Sanitäter vor Ort sind. Sie versorgen die Menschen und leisten Erste Hilfe. Diese Arbeit ist enorm wichtig.

Ich kann wirklich jedem empfehlen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Zwei, drei Stunden im Monat reichen schon. Es gibt so viele Möglichkeiten: ein Freiwilliges Soziales Jahr, die Ausbildung zum Rettungshelfer, Sanitätsdienste bei Festivals, Besuche bei älteren Menschen über Initiativen wie „Oll Inclusive“, oder das Engagement im Kriseninterventionsteam.

Ehrenamt macht etwas mit dir. Du bekommst so viel zurück – Dankbarkeit, Sinn, Perspektive. Es bereichert dein Leben auf jeder Ebene. Viele fragen sich irgendwann: „Macht mein Job eigentlich Sinn?“ Im Ehrenamt kann man diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Und das ist ein Gefühl, das ich jedem wünsche. Man muss auch nicht alles hinschmeißen oder so radikale Konsequenzen ziehen wie ich, um etwas zu verändern – man kann das Ehrenamt wunderbar ins eigene Leben integrieren. In jedes Leben. Und genau das macht glücklicher und zufriedener.

Jakob, Mama und ich

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